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Wirtschaftspressekonferenz 2010: Kein nachhaltiger Aufschwung
Stuttgart, 14. April 2010. Die Stimmung in der chemischen Industrie Baden-Württembergs hat sich nach dem Krisenjahr 2009 leicht verbessert. Die Branche erwartet in diesem Jahr eine Erholung in kleinen Schritten. Konjunkturelle Risiken liegen vor allem in einer unzureichenden Kreditversorgung und in einem erneuten Anstieg der Energie- und Rohstoffkosten.
Konjunkturprognose 2010
Fast zwei Drittel der baden-württembergischen Chemieunternehmen rechnen 2010 mit einem gleichbleibenden oder schlechteren Konjunkturverlauf als im zurückliegenden Jahr. Nur 37 Prozent der Betriebe prognostizieren einen wirtschaftlichen Aufwärtstrend. Positive Entwicklungen werden insbesondere vom Auslandsgeschäft erwartet.
Nach Angaben von Gerhard Schäferkord, Hauptgeschäftsführer der Chemie-Verbände Baden-Württemberg, kann von einem nachhaltigen Aufschwung noch keine Rede sein. Dafür sei die Verunsicherung über die wirtschaftliche Entwicklung in den Chemie-Abnehmerbranchen, wie z. B. der Automobilindustrie, zu groß. Außerdem befürchten die energieintensiven Chemieunternehmen einen deutlichen Anstieg der Rohstoffkosten.
Besonders stabil zeigt sich in der Chemiebranche die Beschäftigung. Die Hälfte der Unternehmen will 2010 an ihrer Mitarbeiterzahl festhalten, 16 Prozent sogar aufbauen. Ein Drittel der Chemieunternehmen rechnen dagegen mit einem geringeren Personalstand.
Ob diese Einschätzungen zutreffen, hängt laut Schäferkord von der Nachhaltigkeit des wirtschaftlichen Aufschwungs und dem Ergebnis der laufenden Chemie-Tarifverhandlungen ab.
Wirtschaftliche Entwicklung 2009
Der Jahresumsatz 2009 der chemischen Industrie Baden-Württembergs ist um 9,6 Prozent auf 16,1 Mrd. Euro eingebrochen. Maßgebend für die schwache Umsatzentwicklung war das Binnengeschäft mit einem Minus von 14,1 Prozent auf 6,7 Mrd. Euro. Der Auslandsumsatz ging um 6 Prozent auf 9,4 Mrd. Euros zurück. Der Anteil des Auslandsumsatzes liegt in der baden-württembergischen Chemiebranche bei fast 60 Prozent. Die Beschäftigungszahlen gingen im Krisenjahr 2009 nur relativ moderat um 2,1 Prozent zurück.
Situation in den Teilbranchen Pharma und Lack
Die Gesamtumsätze der pharmazeutischen Industrie in Baden-Württemberg haben sich im Vorjahr gegenüber 2008 um 1,3 Prozent auf 7,8 Mrd. Euro verringert. Der Auslandsumsatz stieg um 3,9 Prozent. Das Inlandsgeschäft ging um 13,8 Prozent zurück. Die Zahl der Beschäftigten in den Pharma-Unternehmen reduzierte sich leicht um minus 0,8 Prozent.
Insgesamt zeigte sich, dass die Gesundheitsbranche konjunkturunabhängiger ist als die meisten anderen Industriezweige. Sie hat dafür in erheblichem Maße unter gesundheitspolitischen Maßnahmen zu leiden. Die wirtschaftlichen Prognosen für 2010 sind bei den baden-württembergischen Arzneimittelherstellern aus diesem Grund durchweg skeptischer als in der gesamten Chemie.
Insbesondere die Prognosen für das Inlandsgeschäft sind negativ. Aufgrund der geplanten gesundheitspolitischen Eingriffe befürchtet die Pharmabranche, dass insbesondere die mittelständischen Unternehmen einen möglichen Aufschwung 2010 nicht mittragen können.
Der Umsatz der baden-württembergischen Farben- und Lackproduzenten brach 2009 um 16,7 Prozent ein. Dieses Ergebnis lag vor allem am schwachen Export. So ging der Auslandsumsatz um
14,3 Prozent auf nur noch 0,6 Mrd. Euro zurück. Auf dem heimischen Markt war die Situation für die Zulieferer der baden-württembergischen Automobilindustrie besonders schwierig. Vier von zehn Unternehmen sehen außerdem große Risiken bei einem erneuten Anstieg der Energie- und Rohstoffkosten.
Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen
Nach Angaben von Dr. Gerd Backes, Landesvorsitzender des Verbandes der chemischen Industrie (VCI), gibt die energieintensive Chemie-Branche bundesweit rund 6 Millionen Mrd. Euro jährlich für Energie aus.
Zu einem immer gravierenderen Kostenfaktor hat sich dabei der EU-Emissionshandel entwickelt. Bereits seit 2005 unterliegen zahlreiche europäische Anlagen der Industrie sowie der Energiewirtschaft einem Handel mit C02- Emissionszertifikaten.
Bereits in der ersten Handelsperiode von 2005 – 2007 hat sich dadurch die industrielle Produktion in Europa zum Teil deutlich verteuert.
Nach Branchen-Berechnungen allein für die Chemie im mittleren
3-stelligen Millionenbereich. Dies wird sich auch in der zweiten Handelsperiode von 2008 bis 2012 fortsetzen.
Inzwischen wurde die Emissionshandelsrichtlinie für den Zeitraum von 2013 - 2020 novelliert. Nach Angaben des VCI wird diese neue Richtlinie die deutsche chemische Industrie mit Zusatzkosten von rund 1 Mrd. Euro jährlich belasten. Davon dürften auf die Unternehmen in Baden-Württemberg zwischen 80 und 90 Mio. Euro pro Jahr entfallen. Diese Belastungen seien laut Backes nicht gerechtfertigt. Die chemische Industrie produziere schon seit langem besonders energieeffizient und reduziere kontinuierlich ihren CO2-Ausstoß.
In Bezug auf besonders stromintensive Anlagen wird die Bundesregierung aufgefordert, über das EU-Beihilferecht einen finanziellen Ausgleich zu gewähren.
„Wasserpfennig“ Baden-Württemberg
Die Landesregierung beabsichtigt zur Zeit das Wasserentnahmeentgelt Baden-Württemberg – den sogenannten „Wasserpfennig“ – auf neue Füße zu stellen. So sollen u. a. Öko-Bonus-Regelungen eingebaut werden, die die Wirtschaft etwas weniger belasten sollen als bisher.
Gleichzeitig werden aber auch bisher gültige Befreiungstatbestände gestrichen. Dies könnte für einzelne Unternehmen letztendlich sogar eine Verschlechterung gegenüber dem heutigen Zustand bedeuten. Darauf hat Dr. Gerd Backes, Vorsitzender des Verbandes der chemischen Industrie e. V., am Mittwoch vor der Presse hingewiesen.
Grundsätzlich wäre es für eine Minderbelastung der Industrie – wenn sie denn tatsächlich greifen wird – höchste Zeit. Der Wasserpfennig sei eine baden-württembergische spezifische Belastung, die viele Chemieunternehmen im nationalen Wettbewerb benachteilige. In anderen wirtschaftlich bedeutenden Bundesländern wird eine solche Abgabe nicht erhoben bzw. aktuell wieder abgeschafft. Die landesspezifische Zusatzbelastung für Industrie und Verbraucher in Baden-Württemberg beträgt zur Zeit ca. 80 Millionen pro Jahr.
Allein die chemische Industrie Baden-Württemberg ist mit mehreren Millionen Euro direkt belastet.
Nach Angaben von Backes stellt das Wasserentnahmeentgelt Baden-Württemberg ein rein fiskalisches Instrument ohne weiteren Zusatznutzen dar. Eine wesentliche Lenkungswirkung besteht nicht. Außerdem verletze der Wasserpfennig das Verursacherprinzip. Die chemische Industrie Baden-Württembergs fordert deshalb die umgehende Abschaffung des Wasserentnahmeentgeltes.
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