Aktiv | Umwelt und Sicherheit
Wie ein Chemo-Informatiker bei Fuchs Lubricants die Produktentwicklungen am PC verkürzt
Mannheim. „Man muss die Dinge im Kleinen verstehen, um das große Bild begreifen zu können.“ So sagt es Marvin Hoffmann, promovierter Chemo-Informatiker beim Schmierstoff-Hersteller Fuchs Lubricants Germany in Mannheim. Hoffmann schaut deshalb bei seiner Arbeit ganz genau hin – allerdings nicht durch ein Mikroskop. Sondern am Rechner: Hier beobachtet er, wie sich Schmierstoffe unter bestimmten Bedingungen verhalten würden.
Künstliche Intelligenz hilft bei treffsicheren Vorhersagen
Beim Besuch von aktiv erklärt der 31-Jährige, was man am Monitor bei der Computersimulation eines Schmierstoffes alles sieht: Zwischen zwei schwarzen Balken aus kleinen Kügelchen bewegt sich eine Masse aus vielen hellen Zellen. Die Kügelchen visualisieren die molekulare Ebene zweier Metalloberflächen, die helle Masse den Schmierstoff. Mithilfe von Software, künstlicher Intelligenz und Daten aus Experimenten kann Hoffmann nun Vorhersagen treffen: etwa darüber, wie sich der Schmierstoff bei veränderten Temperaturen verhalten wird. Solche chemischen Molekülstrukturen und Eigenschaften kann die Informatik erfassen, speichern und sozusagen manipulieren – das liefert wertvolle Erkenntnisse für die Produktentwicklung und -optimierung.
„Ein Schmierstoff muss zum Beispiel Teile in Motoren vor Abnutzung und Beschädigungen durch Reibung schützen“, so der Chemiker. So ein Stoff besteht aus einer Basisflüssigkeit wie Mineralöl und Zusatzstoffen, Additive genannt. Diese verhindern oder verzögern etwa Korrosion und Oxidation oder verbessern die Schmierwirkung. Fuchs verfügt über ein Sortiment von über 10.000 Produkten! Die benötigt man zum Beispiel in der Lebensmittel-Industrie, bei E-Fahrzeugen, in der Metallverarbeitung, bei Windkraftanlagen, im Schienenverkehr und in der Raumfahrt.
Neues Verfahren spart Zeit, Geld und Fehlschläge
Die Wirkung eines Schmierstoffes hängt von vielen Faktoren ab. Temperatur oder Druck spielen ebenso eine Rolle wie die Rezeptur, welche zum Beispiel das Aufschäumen bei der Produktion verhindert. Während in der Lebensmittel-Industrie oder in der Medizintechnik spezielle Vorgaben gelten, geht es der E-Mobility eher um elektrische oder akustische Eigenschaften. Manche Produkte müssen auch gleichzeitig schmieren und kühlen, etwa in der Metallverarbeitung.
Zu Hoffmanns Aufgaben gehört die Neuentwicklung von Produkten ebenso wie die Optimierung von Rezepturen. Mit seinem dreiköpfigen internationalen Forscherteam arbeitet er oft an mehreren Projekten gleichzeitig. „Das ist superspannend, wir stellen die Weichen für die Zukunft in ganz vielen Bereichen.“ Bei Neuentwicklungen wählt er aus, welche Komponenten sich für die ersten Testansätze eignen. „Statt 100 verschiedener Kandidaten können wir die Auswahl auf 20 eingrenzen, weil wir bereits vor dem ersten realen Test wissenschaftlich fundierte Aussagen über die Eigenschaften der Rezepturen treffen können. Das spart Zeit, Geld und experimentelle Fehlschläge.“
Kreativität und Erfahrung nötig
Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit sind auch bei Schmierstoffen große Treiber. „Wir arbeiten daran, Komponenten zu ersetzen“, erklärt der Mannheimer. „Das ist ein bisschen wie beim Kuchenbacken – wenn man zum Beispiel auf Eier verzichten will oder muss.“ Dafür braucht Hoffmann Kreativität und Erfahrung: „Wie beim Ei-Ersatz kann man nicht blind rumprobieren. Man braucht Grundwissen und muss gleichzeitig neue Wege gehen.“
Daten sind für ihn eine neue Währung: Mit ihnen füttert er Programme, trifft Vorhersagen und empfiehlt Testansätze fürs Labor. „Wir beginnen auf der molekularen Ebene und schauen uns die Struktur-Eigenschafts-Beziehungen an: Wie verhalten sich Stoffe?“
Seine Neugier kann er übrigens auch nach Feierabend nicht abstellen. „Im Supermarkt brauche ich manchmal etwas länger“, gesteht er lachend. „Ich lese mir gerne mal die Zutatenliste von Lebensmitteln oder Kosmetik durch und überlege, welchen Zweck bestimmte Bestandteile haben.“
Nachgefragt
Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Beim Studium habe ich mein Interesse an der theoretischen Chemie entdeckt: Ich will wissen, was hinter den Kulissen passiert, und die Zusammenhänge verstehen.
Was reizt Sie am meisten?
Das interdisziplinäre Arbeiten. Als Chemo-Informatiker verknüpfe ich Chemie, Physik, Mathe und Informatik. Ich habe mit vielen verschiedenen Ansprechpartnern aus diesen Gebieten zu tun – die menschliche Komponente kommt also nicht zu kurz.
Worauf kommt es an?
Man muss kreativ sein und neue Wege gehen. Im industriellen Umfeld spielt auch die Wirtschaftlichkeit eine Rolle. Man muss Netzwerke aufbauen und ständig im Austausch stehen.
Autor: Andrea Veyhle