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Die Politik ist gefordert: Faire Rahmenbedingungen!
Ein Beitrag aus dem Mitgliedermagazin der Verbände Chemie.BW
Die Situation der Chemie-Branche ist dramatisch, sie ist im Krisenmodus: Der Umsatz der baden-württembergischen Grund- und Spezialchemie sowie der Farben- und Lackhersteller ist im vergangenen Jahr eingebrochen.
Bei der Pharmaindustrie zeigt besonders die Produktion eine deutliche Volatilität, die auch 2024 anhalten wird – mit Tendenz nach unten. Und auch die Gesamtprognose für die Branche ist nicht optimistisch: Ausgehend von den Beurteilungen der Unternehmen muss für 2024 mit einem Umsatzminus von etwa drei Prozent gerechnet werden. Die Folge: Fast vierzig Prozent der Unternehmen wollen ihre Investitionen zurückfahren oder ins Ausland verlagern.
Die Politik ist gefragt
Denn es sind die politischen Rahmenbedingungen, die die Branche schwächen. Die größten Belastungen laut Unternehmensumfrage sind die erdrückenden Energiepreise, die überbordende Bürokratie und die Regulierungsflut auf EU-Ebene. Aber auch Fachkräftemangel und hohe Sozialabgaben führen zu immensen Problemen. Wir brauchen dringend eine Politik, die den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder stärkt. Es besteht Handlungsbedarf – und zwar jetzt!
Europa
Beispiel: Industriepolitik. Auf den Green Deal der EU-Kommission muss nun ein Industrial Deal folgen. Denn ein klimaneutrales Europa braucht eine starke, wettbewerbsfähige Industrie. Die Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie stellen sich den Herausforderungen der Transformation der Branche. Das gelingt aber nur mit viel wettbewerbsfähigem Grünstrom, smarter Förderung, viel Innovationskraft und einem rechtssicheren Rahmen hierfür.
Beispiel: EU-Lieferkettenrichtlinie. Sie verfolgt zwar ein richtiges und wichtiges Ziel, ist aber in der Praxis für die betroffenen Unternehmen schlicht nicht umsetzbar. Insbesondere der Mittelstand wird durch die geplanten Regelungen bei Weitem überlastet. Die Harmonisierung ist nicht gewährleistet und eine weite zivilrechtliche Haftung für Unternehmen und deren Vorstände, Geschäftsführer und Aufsichtsräte führt zu unkalkulierbaren Risiken. Wir müssen die Sorgfaltspflichten auf das beschränken, was Unternehmen auch kontrollieren und beeinflussen können.
Fachkräftemangel
Das neue Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung ist ein wichtiger Schritt. Doch die Umsetzung in der Praxis ist noch zäh. Die Verfahrensdauer zur Erteilung eines Visums oder zur Anerkennung von Abschlüssen aus dem Ausland ist zu lang. Auch sind aus dem Ausland häufig nur schwer alle nötigen Informationen und Unterlagen zugänglich. Die Verfahren müssen an die modernen Gegebenheiten angepasst werden. Für die Arbeitgeber, insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, muss die Suche nach Fachkräften im Ausland in der Praxis unkompliziert umsetzbar sein. Hinzu kommt, dass das Bildungssystem stärker auf die Bedürfnisse von eingewanderten Kindern und Jugendlichen zugeschnitten wird – Spracherwerb als wichtigste Integrationsnotwendigkeit muss gefördert werden.
Sozialabgabenquote
Die Finanzierung aller Sozialleistungen kostet über eine Billion Euro jährlich. Die Arbeitgeberbeiträge und die Leistungen der Betriebe finanzieren zusammen 34 Prozent dieses Sozialbudgets; hinzu kommt der durch Unternehmen aufgebrachte Anteil, die aus Steuern finanziert werden. Das ist immens!
Für eine zukünftige Akzeptanz des Sozialstaats brauchen wir eine größere Transparenz der Systeme und ihrer Wirkungen. Erwerbstätigkeit muss sich individuell lohnen und durch die Gestaltung des Sozialsystems gefördert werden. Und: Die von Arbeitgebern und Beschäftigten zu zahlenden Beiträge müssen wirksam begrenzt werden. Anderenfalls drohen negative Auswirkungen auf unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit.
Energie
Unsere Unternehmen sind massiv betroffen von den hohen deutschen Preisen im Energiesektor. Auch der Erhalt der Energieversorgungssicherheit ist essenziell. Die Unternehmen haben ihre Hausaufgaben gemacht und sich auf die Energie-Transformation eingestellt. Aber dass ständig die Spielregeln geändert werden, macht es sehr schwer.
Zur Energie-Transformation gehört auch Wasserstoff: Wir benötigen ihn sowohl energetisch als auch als Rohstoff in der Chemie. Wir kennen aufgrund einer in 2023 vorgelegten und jüngst weiter spezifizierten Studie jetzt den potenziellen Bedarf im Land. Nun gilt es dringend, die Wasserstoffinfrastruktur anzupassen – und dabei brauchen wir leitungsgebundene Versorgung und dezentrale Erzeugung. Sonst droht die Gefahr, dass der Südwesten vom Wasserstoff – und damit von der Transformation – abgekoppelt wird.
Pharma
Trotz anhaltender Inflation, explodierender Erzeugerpreise und ungelöster Lieferengpassproblematik werden die finanziellen Belastungen für die pharmazeutische Industrie aufrechterhalten: Preismoratorium, Zwangsabschläge, ruinöse Rabattverträge sind bis heute in Kraft und schwächen den Pharmastandort und die Versorgung. Verschärft wird die Lage durch Änderungen auf europäischer Ebene. Das Fazit: Deutschland verliert als Pharmastandort bei Produktion, Forschung und Entwicklung zunehmend an Attraktivität.
Wir fordern:
- den schnellen Zugang zu innovativen Arzneimitteln zu erhalten
- investitionsfreundliche Rahmenbedingungen zu verbessern und die Forschungsförderung deutlich auszubauen
- die bestehenden Zwangsrabatte auf Arzneimittel abzuschaffen
- stabile Produktions- und Lieferbedingungen zu schaffen
- Rabattausschreibungen bei weniger als vier Anbietern am Markt abzuschaffen
- für mehr Planungssicherheit und Verlässlichkeit die richtigen legislativen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu schaffen
- das Preismoratorium zu reformieren und Preissenkungsmechanismen neu zu justieren
Zitate
„Fast vierzig Prozent der Unternehmen wollen ihre Investitionen zurückfahren. Das ist kein gutes Zeichen für den Standort Baden-Württemberg und Deutschland.“ Patrick Krauth, Vorsitzender des agvChemie.
„Wir brauchen eine ‚Offensive 2030‘, damit der Industriestandort Deutschland wieder in Schwung kommt.“ Martin Haag, Vorsitzender des VCI BW.