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Studie Chemie 2030: Die Arbeitswelt in der Chemie steht vor gewaltigen Herausforderungen

02.06.2023

In der vergangenen Tarifrunde war es - zurecht - ein wichtiges Argument der Arbeitgeberseite: Die Chemie- und Pharmabranche steckt mitten in Transformationsprozessen. Und zwar nicht in irgendwelchen, sondern zeitgleich in den größten, die diese Industrie je durchgemacht hat. Um hier erfolgreich bestehen zu können, haben die Chemie-Arbeitgeber in einer Studie die möglichen Auswirkungen der anstehenden Veränderungen insbesondere auf die Arbeitswelt in der Branche untersucht. 

Welche Transformationen?

Von welchen Transformationen wir sprechen: Die Klimaveränderung und die Notwendigkeit zur Nachhaltigkeit - und was für die Industrie damit zusammenhängt mit all ihren Facetten. Einfach zusammengefasst: Die Unternehmen unserer Branche haben sich den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen angeschlossen. Mit der Initiative Chemie hoch drei ist die Branche hier durchaus eine Vorreiterin - was die zwölf Leitlinien der Initiative für Deutschland zeigen. Die Unternehmen sind auf dem Weg - aber sie haben noch viel zu tun. 

Hinzu kommen aber noch weitere Umwälzungen, wie die fortschreitende Digitalisierung. Hier ist bereits heute die Janusköpfigkeit von Transformationen klar: Wer mitmacht und vorgeht, kann profitieren. Wer nicht mitgeht - der wird verlieren. Das gilt auch eine weitere deutliche Veränderung: Rohstoffe und Energie werden knapper und teurer

Dann die demografische Entwicklung: Es werden weniger neue Arbeitskräfte ins Berufsleben eintreten. Mehr Menschen gehen in den Ruhestand. Besonders für Deutschland ist das eine große Herausforderung - mit der sich die Chemie als Vorreiterin bereits 2008 gestellt hat.  Allerdings müssen wir - außer zu analysieren - mehr tun.  

Die Chemie wird sich entwickeln müssen 

Was kann die Branche dagegen tun? Einfach gesagt: Nichts. Was werden die Folgen für die Branche sein? Das kommt darauf an … und genau das hat die Studie des BAVC zur Transformation der Arbeitswelt in der Chemie untersucht. Die Ergebnisse liegen jetzt vor -  und sie zeigen: Um die Transformation erfolgreich bewältigen zu können, muss sich die Chemie entwickeln. Es müssen neue Wege gefunden werden, Arbeitskräfte zu finden. Die Kompetenzen der Mitarbeitenden in der Branche müssen  verändert und ausgebaut werden. Die veränderten externen Rahmenbedingungen müssen gelebt und auch bewertet werden. Das alles ist möglich - kann aber gut oder auch weniger gut gelingen. 

Drei Szenarien möglich

Für die Studie haben BAVC und Boston Consulting Group zahlreiche Unternehmen befragt, Daten zusammengestellt und im Endeffekt drei mögliche Wege für die Chemie durch die Transformationen aufgezeigt. Im Mittelpunkt stand dabei die Chemie-Beschäftigung. Wieviel Mitarbeiter brauchen die Unternehmen bis 2030 noch? 

Wenn die Betriebe der Chemie- und Pharmaindustrie nicht mit den Transformationen klarkommen, werden sie in sieben Jahren bis zu 63.000 Arbeitsplätze weniger anbieten können - das Szenario “Rückschritt”. Wenn einige Punkte bewältigt werden, andere nicht - im Szenario “Stillstand”, sind es noch etwa 29.000 Arbeitsplätze, die nicht mehr benötigt werden. Ziel ist aber, das Szenario “Fortschritt” zu erreichen: Hier werden die Chemie-Unternehmen bundesweit etwa 25.000 mehr Beschäftigte benötigen.  Das ist aber nur zu schaffen, wenn die Chemieunternehmen klar wissen, was sie in Zukunft tun müssen, um die Transformationen zu bewältigen: Und hier geht es darum, heute die Weichen richtig zu stellen, dort, wo es auf betrieblicher Ebene möglich ist. 

Andere Fähigkeiten notwendig

Beispielsweise mit der Aus- und Weiterbildung der Menschen, die in den Unternehmen heute und morgen arbeiten. So sieht die Studie eine vermehrte Notwendigkeit, digitale Kompetenzen und solche für Nachhaltigkeit auszubilden, einzustellen und weiterzubilden. Was das für die Unternehmen heißt? Sie müssen ihr “Recruiting”, ihre Aus- und Weiterbildung und auch das Bild der Organisation nach außen verändern.

Zentrale Aufgabe für den Personalbereich

Personalarbeit muss neue Ziele vor Augen haben: Wie können die Personen, die heute und in Zukunft im Unternehmen arbeiten werden, für diese Zukunft fitgemacht werden? Wie sehen Prozesse aus, die die vielfältigen Transformationen unterstützen? Und ganz banal: Wie schaffen es Unternehmen, genügend Bewerber zu bekommen, wie können Arbeitsplätze so gestaltet werden, dass Mitarbeitende länger arbeiten können? 

Dazu gehört allerdings auch, dass die Organisationen es schaffen, glaubwürdig, attraktiv und konsequent diese innere Transformation nach außen zu kommunizieren. Die strategischen Unternehmensziele müssen angepasst und optimiert werden. 

Rahmenbedingungen verbessern

Der Teil, den die Unternehmen selbst verantworten, werden sie angehen und sind sie bereits angegangen. Was noch fehlt und dringend notwendig ist: Die richtigen Rahmenbedingungen. Hier muss die Legislative, müssen die Parlamente auf Landes- und Bundesebene und auch die europäischen Organe, die Transformation der Unternehmen unterstützen. 

Was ist hier zu tun? Das Dauerthema Bildung - und vor allen Dingen naturwissenschaftliche Bildung und digitale Kompetenzen - muss endlich zielorientiert auf die Agenda. Auch die bessere Ausstattung von Berufsschulen gehört dazu - damit genau dort nicht nur engagiert, sondern auch auf höchstem aktuellen Niveau unterrichtet werden kann. 

Zuwanderung darf nicht weiter zum Spielball von politischen Interessen verkommen, sondern sie muss sich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes ausrichten - und entbürokratisiert werden. 

Die oft geforderten flexibleren Möglichkeiten, Arbeitskräfte in Beschäftigung zu bringen, müssen realisiert werden: Dazu gehört ein neues, modernes Arbeitszeitgesetz.  

Außerdem: Die Infrastruktur in Deutschland ist längst nicht mehr aktuell. An Brücken, Straßen, Schienen- und Wasserwegen haben wir es in den vergangenen Jahren bereits gesehen. Das muss angegangen werden - aber mindestens genauso schnell muss der Staat die digitale Infrastruktur und an die Energieversorgung ausbauen und verbessern.

Zeigen, was die Branche leistet

Für die Unternehmen gilt vor aber vor allen Dingen: Sie müssen zeigen, dass “die Chemie” nicht nur irgendeine Branche ist. Wir sind die Branche, die sinnvolle und gute Arbeitsplätze bietet. Über die Anwendung, das Produkt hinaus ist die Chemie aber auch die Branche, die Sinnhaftigkeit bietet: Ohne die Forschungen, Entwicklungen und Anwendungen aus den Betrieben ist gerade die Transformation zur Nachhaltigkeit nicht zu leisten.

Über all das muss jedes Unternehmen noch viel stärker als in der Vergangenheit sprechen. “Employer Branding” darf kein Label sein, sondern wird zur Tätigkeit. Beschäftigte der Betriebe werden zu Botschaftern - und verbreiten hoffentlich positive Nachrichten nach draußen. Neue Mitarbeiter werden auch durch gute Führung, flexible Arbeitsmodelle und eine klare Perspektive gewonnen. 

Es wird nicht einfach, die Transformationen so zu bewältigen, dass wir im “Fortschritt” landen. Aber: Die Chance ist da, und sie ist nicht klein. 

 

(zum Volltext der Studie geht es hier entlang)