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Mitten im Umbruch - Chemie im Krisenmodus
Die Chemie- und Pharmaunternehmen tun viel, um die Krise zu bewältigen
Die chemische und pharmazeutische Industrie steht weiterhin unter Druck: Der verheerende Krieg in der Ukraine mit seinen negativen Auswirkungen auf unsere Wirtschaft, die drängenden Fragen zur globalen Klimakrise, die notwendigen wie umfassenden Transformationen unserer Unternehmen und die soziale Verantwortung für Mitarbeiter und Gesellschaft – die Herausforderungen, denen sich die Branche stellen muss, sind groß wie nie zuvor.
Die führenden Wirtschaftsinstitute sind sich einig: Sie haben ihre im Frühjahr aufgestellte Prognose für den Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts 2022 auf 1,4 % gesenkt, für das kommende Jahr rechnen sie mit einem weiteren Rückgang auf –0,4 %. Grund dafür sind vor allem die reduzierten Gaslieferungen aus Russland. In einem Risikoszenario, welches einen sehr kalten Winter sowie eine geringere Gaseinsparung als 20 Prozent unterstellt, dürfte das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt sogar massiv einbrechen. Aber auch ohne die Annahme einer solchen Gasmangellage sind die Aussichten düster: Im ersten Quartal 2023 rechnet das ifo Institut in München mit einer Inflationsrate von 11 %.
Gasversorgung: Alarmstufe
Reduzierte Gaslieferungen sowie gestörte Lieferketten treffen die Unternehmen der pharmazeutisch-chemischen Industrie hart. Im „Notfallplan Gas“ der Bundesregierung gilt seit Sommer 2022 die Alarmstufe, d.h.: marktbasierte Maßnahmen aus dem EnWG (Energiewirtschaftsgesetz) und dem EnSiG (Energiesicherungsgesetz) können greifen. Was das konkret für die Unternehmen der Chemie- und Pharmabranche bedeutet, wie sich Gasspeicher- und Gasbeschaffungsumlage auswirken, welche Sonderregelungen für energieintensive Unternehmen bestehen, wie man mit Leistungsstörungen in bestehenden Verträgen umgeht und welche Befreiungsansprüche es gibt, darüber informieren die Verbände stets aktuell.
Nachwuchs und Beschäftigung sichern!
Zeitgleich muss auch ein radikaler Strukturwandel in den Unternehmen vollzogen werden: Klimaneutrale Produktion, EU-Chemikalienpolitik, Kreislaufwirtschaft, demografischer Wandel und Digitalisierung erzeugen einen maximalen Anpassungs- und Flexibilisierungsdruck auf Unternehmen und Beschäftigte. Im Fokus steht dabei vor allem der Fachkräftemangel, dem es zu begegnen gilt: Die Chemie im Land hat etwa 3.500 Auszubildende in knapp 50 verschiedenen Berufen. Mit der mehrfach ausgezeichneten Kampagne „Elementare Vielfalt“ (www.elementare-vielfalt.de) wirbt die Branche erfolgreich für die Ausbildung. Das Weiterbildungsengagement in der Chemie ist weiterhin hoch, und mit dem „Zielbild Weiterbildung“ haben sich die Chemie-Sozialpartner eine Weiterbildungsstrategie bis 2025 gegeben.
Investitionen in Bildung
Die Forderungen an die Politik, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, sind klar: Die Berufsschulen benötigen massive Investitionen in Infrastruktur, Fachpersonal und Qualifizierung; es ist mehr Werbung für und Entbürokratisierung von bestehenden Angeboten nötig; der MINT-Nachwuchs muss gestärkt und Talente und gelebte Vielfalt auf allen Ebenen gefördert werden; zudem ist eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit erforderlich und die Zuwanderungspolitik muss intensiviert und konsequent am Arbeitsmarkt ausgerichtet werden.
Pharma: Falsche Weichenstellung
Zeitgleich legt die Gesundheitspolitik der Pharmaindustrie Steine in den Weg. Zwingend notwendig ist eine umfassende Strukturreform des Gesundheitssystems, stattdessen refinanziert das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz die Krankenkassen auf dem Rücken der pharmazeutischen Industrie und schont somit die wahren Kostentreiber des Systems. Mit der Erhöhung der Herstellerrabatte, der Einführung neuer Abschläge und der Verschärfung des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes AMNOG zum Nachteil von Patientinnen und Patienten werden die Weichen falsch gestellt.
Treibhausgasneutrale Industrie
Ihre Transformation in Richtung Kreislaufwirtschaft und Klimaneutralität setzt die Kunststoffbranche fort. Auf ihrer Leitmesse K 2022 in Düsseldorf konzentrierte sie weiterhin alle Kräfte auf die Transformation zu einer treibhausgasneutralen Industrie. Herzstück und Publikumsmagnet der Weltleitmesse für Kunststoffe und Kautschuk war das Dialogforum „Plastics Shape The Future“, das federführend vom VCI Fachverband PlasticsEurope Deutschland betreut wurde. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen diskutierten mehrere Tage über eine nachhaltige Zukunft von und mit Kunststoffen. Aber nicht nur die Kunststoffindustrie, sondern die gesamte Chemie-Branche hat mit der Roadmap 2050 bereits den Weg zur Klimaneutralität eingeschlagen, möchte nicht nur weg vom Gas, sondern in allen Bereichen mehr Nachhaltigkeit.
Nachhaltig Wirtschaften
Die Dialogreihe „Perspektiven nachhaltiger Chemieindustrie in Deutschland“, die bei der Mitgliederversammlung des VCI im September ihren vorläufigen Abschluss fand, zeichnet das gleiche Bild: Es geht schon lange nicht mehr darum, ob sich die Chemie- und Pharmaindustrie weiterhin verantwortungsbewusst den Herausforderungen und Megatrends der Zukunft stellt, sondern nur noch um ein gemeinsames Verständnis über die effizientesten und wirkungsvollsten Methoden.
Politik gefordert
Die Unternehmen tun viel. Mit dem jüngsten Tarifabschluss in der Chemie haben die Arbeitgeberverbände den Unternehmen Planungssicherheit in schwierigen Zeiten mindestens bei den Entgelten verschafft. Sie haben ihren Beitrag geleistet - jetzt ist die Politik gefordert.
Ein Beitrag aus der Mitgliederzeitschrift der Verbände Chemie.BW, komprimiert.