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Tarifverhandlung Chemie Baden-Württemberg ergebnislos vertagt / Chemie-Arbeitgeber fordern Anerkennung der wirtschaftlichen Realitäten
“Wir haben kaum Verteilungsspielraum, sondern müssen einen Tarifabschluss für eine Krisensituation erreichen"
Karlsruhe, 24. April 2024. Am Mittwoch sind die Verhandlungskommissionen der baden-württembergischen Chemie-Arbeitgeber und der Gewerkschaft IGBCE nach mehr als dreistündigen Verhandlungen ohne Ergebnis auseinandergegangen. Die Vertreter des Arbeitgeberverbandes Chemie Baden-Württemberg (agvChemie) wiesen die Forderungen der Gewerkschaft (7 Prozent mehr Entgelt, Vorteile für die Gewerkschaftsmitglieder) zurück: “Eine Entgeltsteigerung in dieser Höhe geht an den wirtschaftlichen Realitäten unserer Mitgliedsunternehmen in der Fläche vorbei”, so der Verhandlungsführer des agvChemie, Clemens Schmid.
Die Chemie- und Pharmabranche in Baden-Württemberg hatte im vergangenen Jahr Umsatzeinbußen hinnehmen müssen. Zudem sei die Produktivität in der Branche im Laufe des vergangenen Jahres auf einen neuen Tiefstand gesunken. “Wir haben kaum Verteilungsspielraum, sondern müssen einen Tarifabschluss für eine Krisensituation erreichen, um Standort und Beschäftigung zu sichern", so Schmid weiter. In zahlreichen Unternehmen sind Umsatz und Erträge im vergangenen Jahr zurückgegangen, erläuterten die Arbeitgebervertreter in Beispielen während der Verhandlung.
Die Arbeitnehmer hätten dagegen, so Schmid, erst im Januar eine Entgelterhöhung um 3,25 Prozent und zusätzlich einen Inflationsausgleich von 1.500 Euro erhalten. Mit Blick auf die deutlich rückläufige Inflation in den ersten Monaten und die Erwartungen für das Gesamtjahr sagte er: “Die Inflationsflamme ist gelöscht. Und die Beschäftigten haben 2024 ohne jede weitere Tariferhöhung real mehr Geld in der Tasche!”
Die Forderung der Gewerkschaft, die Tarifbindung auf Arbeitnehmerseite einseitig durch einen Bonus zu stärken, lehnten die Arbeitgeber ab: Das spalte die Belegschaften und würde bei den Arbeitgebern zu einem Rückzug aus dem Tarif führen. Hingegen sei die Idee, das Tarifwerk in der Chemie einfacher zu machen, eine Forderung, die der agvChemie durchaus unterstütze: “Allerdings müssen wir hier, gerade mit Blick auf die hohen Arbeitskosten in der Chemie im Land, darauf achten, dass das keine Kostensteigerungen durch die Hintertür bedeutet”, so Schmid weiter.
In der Chemie- und Pharmaindustrie liegt der Anteil der Arbeitskosten am Umsatz der Unternehmen in der überwiegenden Mehrheit der Unternehmen bei weit über 20 Prozent - ein Wert, der ihrer mittelständischen Größe und der speziellen Branchenstruktur geschuldet ist.
Die Verhandlungen sollen am 14. Mai 2024 auf Bundesebene fortgesetzt werden.
Zur Tarifrunde Chemie 2024
Verhandelt wird zwischen dem baden-württembergischen Chemie-Arbeitgeberverband (agvChemie) und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) über die Entgelte und Arbeitsbedingungen von etwa 73.000 Beschäftigten in den 210 tarifgebundenen Chemie- und Pharma-Unternehmen im Land. Die regionalen Verhandlungen haben am 24. April 2024 in Karlsruhe begonnen. Sie werden am 14. und 15. Mai 2024 in Teistungen auf Bundesebene fortgesetzt. Nach Bedarf werden weitere Verhandlungsrunden auf Bundes- oder auch Landesebene stattfinden.
Der derzeitige Entgelt-Tarifvertrag läuft zum 30. Juni 2024 aus. Zu diesem Stichtag hat die IGBCE auch die Schlichtungsregelung für die Chemie-Tarifverhandlungen gekündigt. Diese sah bislang eine Friedenspflicht innerhalb der Branche bis zum Scheitern einer Schlichtung vor.
Hintergrund - Arbeitgeberverband Chemie Baden-Württemberg e.V.
Der agvChemie ist der Arbeitgeberverband für die Unternehmen der chemischen und pharmazeutischen Industrie in Baden-Württemberg. Die größte Teilbranche ist die pharmazeutische Industrie, gefolgt von Farben und Lacken sowie Körperpflege und Waschmittel. Derzeit beschäftigen die Unternehmen in etwa 30 unterschiedlichen Berufsbildern 3 500 Auszubildende und DHBW-Studenten. Die Unternehmen im agvChemie machten 2023 einen Umsatz von ca. 33,4 Milliarden Euro. Die Exportquote in diesen Betrieben liegt bei etwa 60 Prozent, der Arbeitskostenanteil bei 45 Prozent der Unternehmen zwischen 20 und 30 Prozent, bei einem weiteren Viertel der Unternehmen sogar bei mehr als 30 Prozent.