Energie und Klima | VCI

Drohender Lieferstopp: Erdgas ist für die Chemie-Branche kaum zu ersetzen

Rohstoff und Energielieferant: Noch effizenter einsetzen?

26.07.2022

Mit einem Anteil von 15 Prozent ist die Chemie- und Pharmaindustrie der größte industrielle Verbraucher von Erdgas. Die Branche setzt Gas sowohl als Rohstoff (mehr als ein Viertel) als auch energetisch zur Gewinnung von Wärme und Strom ein. Momentan weiß niemand, wie lange und wie viel Erdgas uns zukünftig noch zur Verfügung stehen wird. Sicher ist, dass ein Lieferstopp zu massiven Einschnitten in der Chemie- und Pharmabranche und damit zur Unterbrechung der Lieferketten in fast allen Branchen führen würde. Betroffen davon wären fast alle Bereiche des täglichen Lebens.

Erdgas als Rohstoff

Als Rohstoff ist Erdgas momentan nicht zu ersetzen. Es wird zum Beispiel für die Produktion von Wasserstoff eingesetzt, der wiederum für die Herstellung von Ammoniak eine wichtige Rolle spielt. Ammoniak wird zur Herstellung unter anderem von Düngemitteln, Lösemitteln, Kunststoffen oder medizinischen Produkten verwendet. Ein Teil fließt über die Harnstoffsynthese in die Produktion von AdBlue für die Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen. Desweiteren wird Erdgas auch für die Herstellung von Acetylen verwendet, ein bedeutender Ausgangsstoff für viele Produkte des täglichen Lebens. Beispiele hierfür sind Kunststoffe, Arzneimittel, Lösemittel, Elektrochemikalien sowie hochelastische Textilfasern. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Da in den meisten industriellen Wertschöpfungsketten chemische Produkte als Vorprodukte eingehen, hängen fast alle Lebensbereiche und nahezu alle Branchen, wie Landwirtschaft, Ernährung, Automobil, Kosmetik, Hygiene, Bauwesen, Pharma oder Elektronik, von der chemischen Industrie ab. Ein Abschalten von chemischen Betrieben würde rasch zu Versorgungsengpässen in allen Bereichen des täglichen Lebens führen.

Erdgas als Energielieferant

Erdgas als Energieträger kann kurz bis mittelfristig nur in sehr geringem Maße ersetzt werden. Um geeignete Anlagen kurzfristig auf einen anderen Energieträger wie Heizöl oder Kohle, im Einzelfall auch auf Flüssiggas, umzustellen, müssen nach geltendem Recht jedoch aufwendige Genehmigungsverfahren gegebenenfalls sogar mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt werden. Dies dauert auch beim besten Bemühen der Beteiligten zu lange. Die Unternehmen müssen jetzt die Möglichkeit haben, umgehend mit den Umstellungsarbeiten zu beginnen. Wir brauchen eine deutliche Beschleunigung der Genehmigung, die für einen „fuel switch“ notwendig ist.

Unabhängig von den aktuellen Herausforderungen arbeiten ChemieUnternehmen seit vielen Jahren extrem energiebewusst, zahlreiche bereits auch in Richtung Klimaneutralität. Je Produkteinheit benötigt die Branche heute deutschlandweit nur noch die Hälfte der Energie, die vor 30 Jahren nötig war. Die Optimierung war vor allem durch die Umstellung auf gasbasierte Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung möglich, in denen Prozesswärme und Strom kombiniert mit sehr hohem Wirkungsgrad erzeugt werden. Durch die hohe Effizienz sind weitere Einsparpotenziale begrenzt.

Politik ist gefragt

Martin Haag, Vorsitzender des VCI BW, sieht auch die Politik in der Pflicht: „Unsere Unternehmen müssen bereits jetzt deutlich mehr für Gas und Energie allgemein ausgeben. Da sind sie gegenüber ihren Wettbewerbern in anderen Ländern stark im Nachteil. Das müssen wir im Interesse des Industrie-Standortes Deutschland und Baden-Württemberg versuchen auszugleichen. Und auch an anderer Stelle ist die Politik gefordert. Der notwendige fuel-switch darf nicht an langwierigen Genehmigungsverfahren scheitern!“