Aktiv | Tarifpolitik

Wie viel Spielraum gibt es?: Chemie-Tarifrunde 2015: Experten warnen vor zu hohen Erwartungen

30.01.2015
<form action="http://iframe.aktiv-online.de/index.php?id=51&tx_newsauthors_newsauthorsearch%5Baction%5D=search&tx_newsauthors_newsauthorsearch%5Bcontroller%5D=News&cHash=af2a08a9b245307c078f0d04cc9f42c0" method="post"> </form> Wiesbaden. Es geht los: Arbeitgeber und Gewerkschaft verhandeln derzeit über die Tarifentgelte in der Chemie-Industrie. Mehrforderungen von 4,8 Prozent liegen auf dem Tisch. Die Branche beschäftigt rund 550.000 Mitarbeiter in 1.900 Unternehmen. Zuletzt hatte man sich im Februar 2014 auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Ausgangsbasis ist die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage: Wie wird sich die Branche entwickeln? Das Positive vorweg: Ökonomen erwarten für dieses Jahr Wachstum, die gesamte Wirtschaftsleistung soll um 1,5 Prozent steigen, so das Münchner Ifo-Institut. Viele Unternehmer teilen diesen Optimismus jedoch nicht, wie eine aktuelle Konjunktur-Umfrage des Bundesarbeitgeberverbands Chemie (BAVC) mit Sitz in Wiesbaden zeigt. Befragt wurden 578 Betriebe mit 362.000 Beschäftigten. Zwar beurteilt rund ein Drittel der Firmenlenker die aktuelle Geschäftslage mit „gut“. Fast ein Viertel bezeichnet die Situation jedoch als „kaum befriedigend“ oder „schlecht“. Bereits im Jahresverlauf 2014 war die Nachfrage nach Chemie-Produkten „deutlich gedämpft“, sagt BAVC-Geschäftsführer Dirk Meyer. „Dazu kommen die anhaltend hohe Kostenbelastung am Standort Deutschland sowie der zunehmende globale Wettbewerbsdruck.“ Unsicherheit erzeugen etwa die Konflikte in der Ukraine und Syrien, die Krise in Griechenland sowie der schwächelnde Euro.

„Die eine Firma verdient gut, die andere nicht“

Dazu kommen ein geringes Mengenwachstum und rückläufige Erzeugerpreise: „Das schlägt sich in weiten Teilen der Chemie negativ in der Ertragslage nieder“, kommentiert Meyer. Da schmerzt jeder zusätzliche Euro: „Wir stellen hier Produkte her, die weltweit konkurrenzfähig sind – in der Qualität. Im Preis aber nicht mehr“, sagt Dieter Freitag, Deutschland-Chef beim Reifenhersteller Michelin in Karlsruhe und Verhandlungsführer der Chemie-Arbeitgeber in Baden-Württemberg. „Ständig steigen die Kosten, zum Beispiel für Energiezuschläge oder die Arbeitskosten. Das erschwert dem personalintensiven Mittelstand das Leben, ja das Überleben!“ Was die Arbeitgeber jedoch besonders umtreibt, sind die stark unterschiedlichen Geschäftsverläufe der Firmen: „Die einen verdienen recht gut, die anderen nicht“, so Meyer. Die Fakten belegen das Bild: Während 28 Prozent der Betriebe angeben, „gute“ Erträge zu erzielten, findet fast die gleiche Anzahl (25 Prozent) ihre Ertragssituation „kaum befriedigend“ oder sogar „schlecht“. Diese Firmen können Lohnerhöhungen nur schwer verkraften. Verhandlungsführer Freitag: „Bei Firmen, die gute Gewinne machen, werden die Mitarbeiter bereits beteiligt. Aber der Flächentarifvertrag gilt am Ende für alle, auch jene, denen es nicht so gut geht.“ Mahnend erinnert er an den letzten Abschluss, der aus heutiger Sicht „zu hoch“ gewesen sei: „Wir haben einen Aufschwung erwartet, der nicht kam.“ Das dürfe nicht noch einmal passieren. Freitag: „Die Produktivität war in den letzten Jahren rückläufig.“ Tatsächlich stehen bereits bei mehr als drei Vierteln der befragten Betriebe Sparen und Kostensenken auf der Agenda. Und was passiert in den nächsten Monaten? Meyer ist skeptisch: „Der Blick nach vorne lässt keine durchgreifende Verbesserung im Chemie-Geschäft erwarten.“

Chemieverband senkt Prognose für die EU

Wegen „trüberer Wirtschaftsperspektiven in Europa und der Welt“ hatte der europäische Chemieverband Cefic kürzlich seine Produktionsprognose für 2015 gesenkt. Auch hierzulande rechnen die Unternehmen mit weniger Nachfrage aus dem Inland und Europa, ihre Hoffnung ruht auf den Schwellenländern. Unterm Strich erwarten 30 Prozent der Firmen im Lauf des Jahres sinkende Erträge, nur 19 Prozent glauben an einen weiteren Anstieg. Freitag: „Die Inflation liegt unter 1 Prozent, die Produktivität dürfte dieses Jahr bestenfalls stagnieren. Wir haben so gut wie keinen Verhandlungsspielraum. Wer darauf keine Rücksicht nimmt, der gefährdet den Standort. Das kann doch keiner wollen.“