Aktiv
Wie Mikrobiologen bei BIPSO nach Keimen fahnden
Singen. Am liebsten ist es Laborleiter Georg Wein und seiner Vertreterin Theresia Stehle, wenn trotz wochenlanger Arbeit in ihren Prüfansätzen nichts passiert. Die Mikrobiologen arbeiten beim Kontrastmittelhersteller BIPSO und sorgen mit ihrem 13-köpfigen Laborteam dafür, dass nur sterile und absolut keimfreie Produkte das Werk verlassen.
Kontrastmittel benötigt man, um Gefäße und Organe zum Beispiel auf Röntgenbildern sichtbar zu machen. Sie werden über die Vene verabreicht: „Es dürfen keine Keime oder Partikel darin sein“, sagt Wein. Deshalb werden nicht nur die Produkte, sondern auch die Herstellung ständig überprüft. Stehle: „Wir nehmen unter anderem Proben von der Luft, von Oberflächen und der Arbeitskleidung.“
Das geht so: Bei „Abklatschproben“ wird eine Petrischale mit Nährboden an Gegenstände oder die Reinraumkleidung gedrückt. Sie kommt in einen Brutschrank. Wächst auf der Probe eine Kultur, läuten die Alarmglocken – Keime! Die sieht man nämlich erst, wenn sie gehäuft auftreten: „Deshalb vermehren wir die Keime auf dem Nährboden“, erläutert Wein. Experten sprechen von „koloniebildenden Einheiten“. Theoretisch könnte man auch einzelne Keime anfärben und identifizieren. Doch das reicht nicht: Man sähe zwar den Keim, erführe aber nichts darüber, ob er „vermehrungsfähig“ ist oder „zum Problem“ wird, wie Wein es ausdrückt.
Zehntausende Proben landen jedes Jahr im Brutschrank
Der promovierte Naturwissenschaftler erklärt die Abläufe beim Besuch von aktiv begeistert und mit einfachen Worten: „Mikrobiologie ist überall, auch im Joghurt!“ Stehle, die flink durch die 20 Laborräume des Neubaus geht, zeigt auf weitere Petrischalen: Auf einer gelblich-transparenten Gelschicht sprießen schwarze Schimmelpilze, und Bakterien breiten sich in Kreisen mit samtiger Oberfläche aus. Diese Schalen mit Keim-Kolonien sind Vergleichsproben, auf denen bewusst Keime aufgebracht wurden. So prüfen die Biologen, ob das Arbeitsmaterial an sich in Ordnung ist.
Die Nährlösung in den Schalen riecht wie Fleischbrühe: „Es ist eine Art Boullion, sie gibt Keimen die Kraft, sich zu vermehren“, erkläutert Stehle. Zehntausende Proben landen jährlich im Brutschrank. Da jeder Keim seine eigenen Vorlieben hat, gibt es verschiedene Klimazonen. „Wir machen es den Keimen so richtig kuschelig“, sagt Wein. „Bakterien fühlen sich bei 30 bis 35 Grad wohl, Hefen und Schimmelpilze mögen es mit rund 20 Grad kühler, manche Keime brauchen sogar 55 Grad, um zu wachsen.“ Einige benötigen Sauerstoff, andere nicht. Bei den Sterilitätsprüfungen ist Geduld gefragt: „Es dauert rund 14 Tage, bis man alle erwischt hat“, erklärt Stehle.
Daumen runter, Charge gesperrt
Dann deutet sie auf ein kühlschrankgroßes Gerät: „Das ist unser Porsche“, verrät sie augenzwinkernd. Rund eine Viertelmillion Euro kostet der Massenspektrometer, mit dem man die Analyse noch verfeinern kann.
Als Wein von der Uni kam, wollte er technische Lösungen mit der Mikrobiologie schaffen – zum Beispiel Abwasser klären. Es kam anders: „Heute fahnde ich nach Mikroorganismen, die Schaden anrichten.“ Stehle nickt: „Bakterien machen, was sie wollen“, sagt sie. „Mal wachsen sie, mal nicht – wir versuchen herauszufinden, woran das liegt.“ Rund 60 Prozent der Zeit verbringt das Team mit Laborarbeiten, den Rest beanspruchen Auswertung und Dokumentation. „Wir haben eine große Verantwortung“, sagt Wein. „Geht unser Daumen nach unten, ist eine ganze Charge mit bis zu 40.000 Dosen gesperrt.“
Übrigens: Kontrastmittelherstellung hat in Singen eine lange Tradition und geht auf das Unternehmen Byk-Gulden in den 80er Jahren zurück. Seit 2011 gehört BIPSO zum Mutterkonzern Bracco mit Sitz in Mailand.
Autor: Andrea Veyhle