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Schwabe Extracta nutzt Ginkgo biloba als Wirkstoff

30.05.2019

Karlsruhe. Philipp Schlegel holt mit einer kleinen Schaufel kristalline Bruchstücke aus einem Fass. Mit ihrer bräunlichen Farbe erinnern sie an Bernstein. „Das ist unser Ginkgo-Extrakt ‚EGb 761‘ für die Herstellung von Medikamenten“, erklärt Schlegel. Das Besondere daran: In diesem Extrakt ist der Wirkstoffgehalt immer gleich hoch. Bei anderen Extrakten ist das nicht der Fall. Und schon gar nicht im Rohstoff, den Ginkgo-Blättern: Hier schwankt die Menge je nach Anbaugebiet, Witterung und Ernte.

Schlegel ist pharmazeutischer Betriebsleiter bei Schwabe Extracta. Er und seine 50 Mitarbeiter stellen aus verschiedenen Pflanzen in aufwendigen Fertigungsschritten Wirkstoff-Konzentrate mit genau definierten Inhaltsstoffen her. Schwabe Extracta ist eine Tochterfirma der Karlsruher Unternehmensgruppe Dr. Willmar Schwabe – Weltmarktführer in der Entwicklung und Herstellung von pflanzlichen Arzneimitteln, den sogenannten Phytopharmaka.

Ginkgo biloba wird zur Steigerung der Gedächtnisleistung und der Konzentration im Alter eingesetzt

Ginkgo-Bäume sind extrem widerstandsfähig (die „lebende Fossilie“ gibt es bereits seit 280 Millionen Jahren). Die Eigenschaften der Pflanze macht sich der Mensch zunutze: Bestimmte Substanzen aus den Blättern erhöhen die Fließfähigkeit des Blutes. „Dadurch werden feine Äderchen besser durchblutet, und das Gehirn wird gründlicher mit Sauerstoff versorgt“, erklärt Schlegel. Der Schwabe-Wirkstoff ist Hauptbestandteil eines Medikaments („Tebonin“): Es stärkt die Gedächtnisleistung und Konzentration im Alter, zudem werden bestimmte Formen von Schwindel sowie Ohrgeräusche damit behandelt.

Doch bis der Ginkgo-Extrakt aus der Trocknungsanlage in Fässer rieselt, sind mehr als 15 Verarbeitungsschritte nötig! Die aus Frankreich oder den USA angelieferten trockenen Blätter kommen in folienummantelten Ballen. Rund 25 Tonnen davon werden pro Woche im Betrieb verarbeitet, wie Schlegel beim Besuch von aktiv erläutert.

Die Blätter werden zerkleinert und mit Lösungsmitteln versetzt. Man erhitzt den Pflanzensud, setzt ihn unter Druck, schleudert ihn in riesigen Maschinen, filtriert und trocknet ihn.

Der Betriebsleiter deutet auf einen der Ballen: „Jede Lieferung hat andere Eigenschaften“, weiß der Apotheker, der nach seinem Pharmazie-Studium direkt bei Willmar Schwabe angefangen hat. Die Herausforderung: „Bestimmte Inhaltsstoffe, unter anderem die sogenannten Flavonglykoside, müssen aus dem Pflanzenmaterial herausgelöst werden“, so Schlegel. „Nur so können wir einen Extrakt von immer gleichbleibend hoher Qualität herstellen.“

Unerwünschte Stoffe aus Extrakten entfernen

Insgesamt fertigt Schlegel mit seinem Team ein gutes Dutzend verschiedener Extrakte. Und er betont, dass es sich dabei um pflanzliche Arzneimittel und nicht etwa um Nahrungsergänzungsmittel handelt, wie man sie in Drogeriemärkten bekommt. Der Unterschied: Der Gehalt an Wirkstoffen ist bei der Arznei viel höher und von gleichbleibender Qualität. „Wir entfernen auch unerwünschte Stoffe. Diese Veredelung macht unsere Extrakte einzigartig“, versichert Schlegel. Denn Ginkgo-Blätter enthalten zum Beispiel auch Ginkgolsäure – sie kann allergische Reaktionen hervorrufen.

„Letztes Jahr enthielt der Lavendel etwas weniger ätherisches Öl als sonst – zur Erntezeit regnete es“, erklärt der 45-Jährige. Er verfolgt das Wetter nicht nur, weil er in seiner Freizeit gerne segelt. Er zieht daraus auch erste Rückschlüsse auf die Heilpflanzen-Ernte.

Ausgehend von Rohstoff und Wirkstoffgehalt werden die Verfahrensschritte angepasst und verschiedene Chargen gemischt, sodass am Ende ein quantifizierter Stoff entsteht. „Dabei ist Erfahrung gefragt“, sagt Schlegel. „Manchmal schäumt ein Auszug oder verhält sich untypisch – meine erfahrenen Mitarbeiter wissen dann aber, was jeweils zu tun ist.“

Abfall entsteht bei der Extrakt-Gewinnung übrigens nicht: Die Pflanzenreste werden als Dünger an die Natur zurückgegeben.

Nachgefragt

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Ich habe mich früh für Naturwissenschaften interessiert – und die Küche meiner Mutter in ein Labor verwandelt, um dort mit Experimentier-Kästen Versuche durchzuführen.

Was reizt Sie am meisten?

Die wechselnden Situationen. Mit Pflanzen zu arbeiten, ist jeden Tag anders, ihre Qualität unterscheidet sich in jeder Lieferung.

Worauf kommt es an?

Chemisches und physikalisches Hintergrundwissen – damit am Ende das Ergebnis stimmt.

Autor: Andrea Veyhle