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„Rezession durch Corona wird stärker als in der Finanzkrise“

31.03.2020

Wird es eine weltweite Rezession geben?

Angesichts des Stillstands im öffentlichen Leben, der Desintegration in der Weltwirtschaft und der Symmetrie des Schocks auf alle Länder ist eine Rezession als tiefer Absturz der Produktion unvermeidbar. Der Einbruch wird stärker sein als im Jahr 2009, dem Hochpunkt der Finanzkrise. Das Problem ist die unauflösbare Unsicherheit darüber, wie lange der Ausnahmezustand dauern wird.

Lassen sich denn, trotz dieser Unsicherheit, die Folgen für die Wirtschaft und die Unternehmen in Deutschland schon abschätzen?

Wir erkennen nur die Wirkungskanäle. Diese Krise ist durch einen kombinierten Angebotsschock und Nachfrageschock gekennzeichnet. Es wirkt wie eine Zangenbewegung: Produktionseinschränkungen und Nachfrageverminderung. Zur ohnehin seit 2018 laufenden Industrierezession ist nun eine Konsumrezession hinzugekommen. Klassische Exportbranchen wie Automotive und Maschinenbau sind ebenso betroffen wie viele Einzelunternehmer und Kleingewerbetreibende.

Kann die Politik es schaffen, Unternehmen – wenn nötig eine große Zahl – vor Insolvenz und Pleite zu retten? Treffen Bundesregierung, Länder und die EU derzeit die richtigen Entscheidungen?

Es bedarf dafür einer Arbeitsteilung. Der Bund kann mit dem nun vorgesehenen „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ die großen Unternehmen adressieren, mit einer Bilanzsumme über 160 Millionen Euro, Umsatzerlösen über 320 Millionen Euro sowie im Jahresdurchschnitt mehr als 2.000 Arbeitnehmern. Die Bundesländer können zum Beispiel mit ihren Förderbanken die kleinen und mittleren Unternehmen ins Visier nehmen.

Die Hilfe muss bei den Empfängern aber auch ankommen. Wird das gelingen?

Beim Kurzarbeitergeld, mit dem wir ja auch schon Erfahrung haben, funktioniert das sehr gut. Womit wir noch keine Erfahrungen haben, ist, wie man die vielen kleinen Unternehmen, die Solo-Selbstständigen und Freiberufler erreicht. Bei der Verteilung der Finanzhilfen für den Mittelstand und für die Kleinstunternehmen wären möglicherweise die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern geeignete Anlaufstellen.

Werden denn die Unternehmen künftig weniger auf globale Lieferketten setzen und zum Beispiel weniger Vorprodukte in Schwellenländern ordern?

Diese Krise wird zur Neubewertung der realwirtschaftlichen Globalisierung führen – so wie die Finanzkrise die finanzielle Globalisierung in ein neues Licht gerückt hat. Lagermanagement, Beschaffungswesen, Lieferbeziehungen und Wertschöpfungsketten werden kritisch durchleuchtet. Es ist nicht das Ende der weltweiten Arbeitsteilung, aber eine Art Restart, ein Neuanfang.

Als Konsequenz geänderter Wertschöpfungssketten würden deutsche Produkte wohl teurer und hätten es auf dem Weltmarkt schwerer, oder?

Die deutsche Wirtschaft bietet eine Spezialisierung, die so ihresgleichen sucht. Industrialisierungsprozesse werden weltweit nicht grundsätzlich infrage gestellt werden. Die digitale Transformation wird an Dynamik aufnehmen. Dabei stehen auch künftig die Qualität, die kundenspezifische Differenzierung und die Systemsteuerungskompetenz im Vordergrund. Verändern wird sich aber die Raumstruktur der Produktion, zugunsten der heimischen Standorte.

Lassen Sie mich aber zur Digitalisierung auch das sagen: Unsere gesamte Gesellschaft wird da einen Schub erleben. Wir sehen gerade, dass Deutschland im Bildungssystem in der Lage ist, geschlossene Klassenzimmer und Hörsäle durch Online-Angebote zu ersetzen. Das wird nachhaltig wirken, davon bin ich fest überzeugt. Das wird auch der Industrie in Deutschland auf Dauer nutzen.

Blicken wir auf die Staatengemeinschaft: Sie ist nicht mehr so solidarisch wie in den Jahren der Finanzkrise. Damals haben die 20 größten Industriestaaten gemeinsam agiert – durchaus mit Erfolg. Inzwischen aber nehmen Handelskonflikte zu, wie zwischen den USA und China. Das Verhältnis zwischen Europa und den USA hat sich auch abgekühlt. Europa schwächelt, es kam zum Brexit. Verschlimmert zunehmender nationaler Egoismus die Probleme?

Der Ausnahmezustand dieser Krise ist Aufgabe der nationalen Regierungen und Institutionen. Es gibt auch keinen ökonomischen Erklärungsansatz, auf den man sich einigen könnte und der die Lösung in sich trägt. Dennoch fehlt die Bereitschaft, international wenigstens die Kräfte zu bündeln. In Europa ist die Kommission geschwächt, eine gemeinsame Steuerung für die Risikogebiete beispielsweise gelingt nicht. Zugleich gibt es aber auch Chancen für die europäische Integration, wie das Handeln der Europäischen Zentralbank zeigt, die anlässlich der Pandemie das zusätzliche Anleihekaufprogramm PPEP aufgelegt hat, und die zunehmende Bereitschaft zur finanziellen Solidarität über Corona-Gemeinschaftsanleihen.

Die allermeisten Menschen, ob in Italien oder hier bei uns, verhalten sich ja sehr besonnen und verantwortungsvoll in dieser Zeit. Geht unsere westliche Gesellschaft, und damit auch unser Wirtschafts- und Sozialsystem, am Ende gestärkt aus dieser Krise hervor?

Das ist eine berechtigte Hoffnung. Das setzt aber voraus, dass diese Phase des Lockdown, also der weitgehend stillgelegten Zivilgesellschaft, zeitlich überschaubar bleibt – also vor den Sommerferien wieder Normalität einkehrt.

Autor: Thomas Goldau