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Fortschritte beim Laborfleisch: Lebensmittelkonzerne investieren kräftig
Vechta. Leben ohne Bratwurst oder Burger – für viele ist das nicht vorstellbar. Doch dafür sterben Tiere, leiden die Umwelt und das Klima. Wissenschaftler arbeiten daher an einer Alternative: Sie züchten echtes Tierfleisch im Labor.
In Singapur und Israel servieren erste Restaurants ihren Gästen bereits Laborfleisch. In den USA hat die Lebensmittelbehörde gerade auf diesem Weg erzeugtes Hähnchenfleisch für genauso sicher erklärt wie herkömmliches. Und in Europa erwartet Vorstand Marcus Keitzer vom Geflügelfleischspezialisten PHW (Marke „Wiesenhof“) „in diesem Jahr den ersten Antrag auf Zulassung“. Bis die allerdings erfolgt, werde es aber sicherlich zwei Jahre dauern, so der Experte für alternative Proteinquellen bei PHW.
Laborfleisch bringt Revolution in der Menschheitsgeschichte
Laborfleisch ist eine Sprung-Innovation, die die Welt verändern wird, sagt Wirtschaftsprofessor Nick Lin-Hi von der Uni Vechta: „Wir erleben den Beginn einer Revolution in der Menschheitsgeschichte. Sie läutet das Ende der Massentierhaltung ein.“
Doch wie erzeugt man dieses Fleisch? Wissenschaftler entnehmen einem Tier per harmloser Biopsie Zellen. Diese Zellen geben sie in eine Nährlösung. Sie vermehren sich darin, wachsen, werden zu Fleischfasern. Das nennen Forscher Zellkultur, daher der Begriff „kultiviertes Fleisch“. Andere reden von „sauberem Fleisch“.
Weltweit 107 Start-ups tüfteln laut dem Good Food Institute an Burgern, Schnitzeln, Steaks, Shrimps oder Fisch aus der Petrischale. Geforscht wird in den USA, Argentinien, Japan, Israel, der Schweiz und den Niederlanden; hierzulande ist Bluu Seafood in Berlin dran. Insgesamt 1,3 Milliarden Euro flossen 2021 in die Entwicklung.
92 Prozent weniger Klimagasausstoß als bei herkömmlichem Rindfleisch
Lebensmittelkonzerne wittern große Chancen und investieren Millionen. Neben veganen Fleischalternativen wollen sie kultiviertes Fleisch anbieten. Der Schweizer Konzern Nestlé ist beim israelischen Start-up Future Meat eingestiegen, die PHW-Gruppe bei Super Meat in Israel und das Unternehmen Rügenwalder Mühle kooperiert mit der Schweizer Mirai Foods.
Denn die Entwicklung macht enorme Fortschritte. „Hackfleisch, Chicken Nuggets oder Schnitzel kann man schon gut im Labor herstellen“, sagt PHW-Vorstand Keitzer. „Hähnchenbrust oder Steak sind noch eine Herausforderung.“ Sie bestehen aus verschiedenen Zelltypen, haben eine Struktur und sind schwieriger zu fertigen. „Das ist derzeit noch der sprichwörtliche Heilige Gral der Fleischforscher.“ Ein Weg sei, dieses Fleisch durch 3-D-Druck zu erzeugen, wie es eine Firma in Israel bereits mit veganen Steaks macht.
Über die Hälfte der Verbraucher würde kultiviertes Fleisch kaufen
Eine Herausforderung ist auch der Preis. „Heute liegt man bei geschätzt 30 bis 40 Euro pro Burger“, weiß Keitzer. „Am Ende darf ein Burger aus kultiviertem Rindfleisch aber nicht teurer sein als einer aus konventionellem.“
Der Schlüssel zur billigen Massenproduktion ist die Nährlösung, die über 70 Prozent der Produktionskosten ausmacht. Sie ist teuer, weil sie bisher Serum von Kälberföten enthält, das das Wachstum der Zellen anregt. Die Forscher tüfteln daher an tierfreien Lösungen, unter anderem beim Chemiekonzern Merck. Ein Start-up in Maastricht war da schon erfolgreich.
Für die Umwelt hat das neue Fleisch dicke Vorteile. Wird es mit Ökostrom erzeugt, soll laut einer Studie der Klimagasausstoß von 52 Prozent (Schweinefleisch) bis 92 Prozent (Rindfleisch) sinken. Für Weiden und Futteranbau wäre massiv weniger Fläche nötig, die Umweltverschmutzung durch Gülle würde verringert.
Und wie käme kultiviertes Fleisch bei den Verbrauchern an? Über die Hälfte würde es kaufen, bei den Jüngeren sogar drei Viertel, ermittelte das Institut Opinion Way. Das ist mal eine Ansage.
Autor: Hans Joachim Wolter