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Dieselmotor: Wie sauber ist die Antriebstechnik von BMW & Co. wirklich?

01.10.2020

Berlin. Jahrzehntelang war der Diesel der Liebling der deutschen Autofahrer. Anfang 2015, dem Jahr des Dieselskandals, entfiel jeder zweite verkaufte Pkw auf einen Selbstzünder. Doch geschönte Abgaswerte und Fahrverbote in Städten ließen die Popularität rapide zurückgehen.

Im vergangenen Jahr lag der Marktanteil noch bei gut 30 Prozent. Laut Branchenverband VDA wurden hierzulande 1,15 Millionen Diesel-Pkws verkauft. Insgesamt sind auf unseren Straßen 15 Millionen Dieselautos unterwegs. Dazu kommen 5,2 Millionen Lkws und Zugmaschinen sowie 71.000 Busse. Diese Zahlen machen deutlich: Der Diesel ist nach wie vor unverzichtbar.

Und die Hersteller haben noch einmal deutliche Fortschritte in Sachen Umweltschutz erzielt. Wie sauber der Diesel ist und welche Zukunft er hat, darüber sprach aktiv mit Professor Thomas Koch, der sich mit Verbrennungsmotoren so gut auskennt wie kaum ein anderer in Deutschland. Er ist Leiter des Karlsruher Instituts für Kolbenmaschinen.

Herr Professor Koch, wie umweltfreundlich sind Diesel der neuesten Generation?

Sie sind einer der umweltfreundlichsten Antriebe. Die Stickoxidthematik ist schon lange gelöst. Ein Diesel mit der Euronorm 6d-Temp darf nur noch 80 Milligramm je Kilometer bei einem Kombi-Test auf Prüfstand und Straße ausstoßen – und bei Extremsituationen wie etwa vollbeladen über Alpenpässe höchstens 168 Milligramm. Bei der neuesten Generation 6d-final, die kürzlich auf den Markt kam, sind unter solchen Belastungen nur noch 112 Milligramm erlaubt. Man muss wissen: Während man die Emissionen aus dem Auspuff in Milligramm pro Kilometer misst, wird die Stickoxid-Belastung im Stadtzentrum in Mikrogramm je Kubikmeter Luft gemessen. Führen ausschließlich die modernsten Dieselmodelle am Stuttgarter Neckartor entlang, würden sie die Umgebung mit nur 1 Mikrogramm Stickoxid je Kubikmeter Luft belasten. 40 Mikrogramm im Jahresschnitt sind der Grenzwert für Fahrverbote. Übrigens: Der vom Arbeitsausschuss für Innenraumrichtwerte lebenslang für unkritisch erachtete Grenzwert in Gebäuden beträgt 80 Mikrogramm.

Ist man damit fein raus, wenn Fahrverbote in Städten drohen?

Ab der Schadstoffklasse Euro 6d-Temp oder Euro 6d sind die Fahrzeuge im Realbetrieb absolut sauber. Hier ist das Risiko gering, in den nächsten Jahren in Deutschland von innerstädtischen Fahrverboten betroffen zu sein. Sicher ist man aber leider nie. Ich habe aufgehört, daran zu glauben, dass es bei der Mobilität um rationale Aspekte geht. Es geht auch sehr um Ideologie und Weltanschauung. Die Begründung der Luftreinhaltung entbehrt jedoch jeder Grundlage. Bei den Partikeln wie auch bei den Stickoxiden können die modernen Fahrzeuge als praktisch immissionsneutral betrachtet werden.

Für wen lohnt sich ein Diesel noch?

Der Diesel ist teurer in der Anschaffung, jedoch sparsam. Vielfahrer oder Fuhrparkbetreiber sind auch in Zukunft prädestinierte Dieselkunden. Der Selbstzünder rechnet sich in aller Regel ab 15.000 Kilometer Fahrleistung im Jahr.

Wie steht der Selbstzünder im Vergleich zum Benziner da?

Der Diesel hat einen wesentlich höheren Wirkungsgrad als andere Verbrennungsmotoren. Der Verbrauchsvorteil gegenüber einem vergleichbaren Benzinmotor liegt bei rund 20 Prozent. Der CO2-Ausstoß ist an den Kraftstoffverbrauch gekoppelt: CO2 entsteht, wenn kohlenstoffhaltiger Kraftstoff wie Diesel oder Benzin verbrannt wird. Trotz höheren Kohlenstoffanteils bleibt beim Diesel am Ende ein CO2-Vorteil von bis zu 15 Prozent.

Wie sieht es beim CO2 verglichen mit einem Elektroauto aus?

Es gibt derzeit keine klar überlegene Technologie: Alle Antriebsalternativen liegen über den Lebenszyklus auf einem ähnlichen Niveau – von der Produktion über den Energieverbrauch bis zum Recycling, wie eine aktuelle Studie von Frontier Economics zeigt. Demnach braucht sich der Diesel bei den klassischen Emissionen, und insbesondere beim CO2-Ausstoß, hinter keiner anderen Technologie zu verstecken. Wir werden deshalb lange die Vorteile des Dieselantriebs genießen. Spätestens mit synthetischen Kraftstoffen, Refuels, ist der Diesel in der Summe der Eigenschaften auch Klassenbester bei den CO2-Emissionen.

Sind alternative Antriebe bald eine Option für schwere Nutzfahrzeuge?

Der Diesel ist enorm leistungsstark – ideal also für diese Anwendungen. Mit einem elektrischen Traktor etwa kann man nicht mit Volllast einen Tag lang ein Feld pflügen. Natürlich werden auch für Nutzfahrzeuge alternative Antriebe entwickelt, die interessante Potenziale haben. Das einseitige Schlechtreden einer Technologie ist schädlich.

Wie stark lässt sich der Verbrauch beim Diesel-Pkw noch senken?

Bis zu 25 Prozent! In der Kompaktklasse können wir unter 90 Gramm CO2 je Kilometer kommen. Damit liegen wir immerhin unter dem durchschnittlichen Flottenverbrauch von 95 Gramm, der bis 2021 zu erreichen ist. Auch danach wird er seinen Beitrag leisten, etwa in Kombination mit der Hybrid-Technik.

Inwieweit lässt sich mit synthetischen Kraftstoffen die Ökobilanz eines Diesels verbessern?

Zunächst ist eine Beimischung zum klassischen Kraftstoff möglich. Das ist für die heutigen Verbrenner kein Problem. Diese sogenannten Refuels sind klimaneutral, verursachen also keine CO2-Emissionen. Sie können synthetisch mit grüner elektrischer Energie in sonnen- und windreichen Gegenden der Erde für rund 1 Euro je Liter hergestellt werden. Biogene Bestandteile – wie Essensreste oder Schnittgut - können zu 30 Prozent zur Herstellung von Refuels beitragen. Damit wäre ein Verbrennungsmotor CO2-seitig Klassenbester.

Wie aus Rohöl Benzin, Diesel und Co. werden

  • Rohöl ist ein Gemisch aus über 500 Komponenten, das hauptsächlich aus Kohlenwasserstoffen mit unterschiedlichen Siedepunkten besteht. Diesen Effekt nutzt man aus, um in einer Raffinerie an verschiedene Erdölprodukte zu kommen.
  • In einer Kolonne, einem riesigen Destillationsturm, wird das Rohöl in seine Bestandteile zerlegt. Man erhitzt es auf 400 Grad Celsius, bis es verdampft und nach oben in die Kolonne strömt; dort nimmt die Temperatur nach oben immer weiter ab. Ganz unten fällt Bitumen aus, der schwerste Bestandteil. Die leichteren Bestandteile kondensieren weiter oben.
  • Bei 360 Grad kondensieren zum Beispiel Heizöl und Diesel. Das Mitteldestillat bei 250 Grad ist Ausgangsstoff für Petroleum und Kerosin. Leichtbenzin kondensiert schon bei 80 Grad Celsius, ganz oben bleiben die Gase Methan, Ethan, Propan und Butan übrig.

Autor: Wilfried Hennes